von Laurien87
Kapitel 9
Am nächsten Morgen stapfte Professor Snape mit großen Schritten auf seinen Klassenraum zu. Er war, wie immer, eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn da, um die Trankzutaten zu sichten und, wenn nötig, aufzufüllen. Als er um die letzte Ecke bog, blieb er abrupt stehen. Einsam und alleine, aber stillvergnügt, wie ihm schien, stand Mina Summer vor der schweren Eisentür. Barfuß â€“ wie immer. Severus schnaubte. Er hatte sich eigentlich auf ein paar letzte ruhige Minuten gefreut, bevor er für den Rest des Tages von seinen Mitmenschen und… nunja… Mitfeen belästigt werden würde. Sie hatte ihn noch nicht entdeckt und so hatte er kurz Zeit, sie näher zu mustern. Mina trug das gleiche grüne Kleid wie am Vortag. Es endete eine Handbreit über dem Knie, was Snape eigentlich für schulunziemlich hielt. Er überlegte kurz, ob sie überhaupt ein anderes Kleid besaß, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder, weil ihn das nun wirklich nichts anging. Ihre schmalen Füße auf dem rauen Stein schienen immer wenige Millimeter über dem Boden zu schweben. Sie blickte verträumt lächelnd auf die Schatten, die die Fackeln an die Wände malten und strahlte Ruhe und Gelassenheit aus, die Snape bei sich selbst stets vergeblich suchte. Er stand meistens unter Anspannung. Zwar waren ihm viele Dinge um ihn herum schlichtweg egal, doch seine Funktion als Spion hatte ihn gelehrt, niemals unaufmerksam zu sein. Und so zwang ihn ein innerer Drang dazu, seine Augen und Ohren stets überall zu haben, um einen Angriff bereits vorhersehen zu können. Doch manchmal, in einsamen Stunden mit einem Glas Feuerwhiskey vor dem Kamin, wünschte er sich etwas mehr Gelassenheit in sein Leben. Doch die hatte er nicht verdient, das wusste er. Nach allem was er als aktiver Todesser getan hatte, musste er für den Rest seines Lebens Buße tun. Schwäche und Gefühlsregungen hatten keinen Platz in seinem Leben und niemals hätte er sich erlaubt, etwas Positives für sich zuzulassen. Ganz im Gegenteil: Er bestrafte sich mit Einsamkeit und notorischer Disziplin.
Mina Summer schien genau das Gegenteil zu sein. Irgendetwas in ihren Augen ließ sie wie einen Engel erstrahlen und was er bisher von ihr mitbekommen hatte, verließ sie sich offenkundig wesentlich öfter auf ihr Gefühl als auf ihren Verstand. Eine Tatsache die Severus weder verstehen noch gut heißen konnte. Unüberlegte Handlungen waren ihm ein Graus und so lebte er ein streng getaktetes Leben, das von Routine und Akribie geleitet wurde.
Mit einem Kopfschütteln riss sich Snape aus seinen Gedanken und ging zügig auf das Klassenzimmer zu. Jetzt hatte auch Mina ihn entdeckt und schenkte ihm ein schüchternes Lächeln, das er ihr gar nicht zugetraut hatte. Sie schien nun doch etwas nervös zu sein und Snape hob leicht die Augenbrauen.
„Guten Morgen, Professor Snape. Wie gut, dass ich Sie sehe. Ich wusste nicht genau, ob ich hier richtig bin.“ Mina hatte extra früh ihr gemütliches Gästezimmer verlassen. Im Schloss kannte sie sich noch immer kaum aus aber die Kerker empfand sie als besonders verwirrend. Sie war so gespannt, nun endlich echten Zaubererunterricht mitzubekommen, dass es ihr nicht einmal etwas ausmachte, dass Snape sie für ihre Vorfreude mit allerhand Spott bedenken würde. Mit einem Schwenk seines Zauberstabes öffnete Snape die Eichentür und trat ein. Mina folgte ihm unauffällig. Es war ihr egal, ob ihm das gefiel oder nicht. Er sah sie zwar missbilligend an, kommentierte ihr Eintreten jedoch nicht weiter, sondern begann die Vorräte in der kleinen Nebenkammer zu sichten. Mina hingegen ging fasziniert durch die Stuhlreihen, strich über das alte und teilweise von Tränken und Kesselfeuern etwas in Mitleidenschaft gezogene Holz der Tische und betrachtete die Tafel hinter dem Pult. In ihrem Feenstamm wurde den jungen Feen auch allerhand beigebracht. Aber dafür hielten sie sich niemals in einem Raum auf. Auch die Anordnung in Sitzreihen erschien ihr äußerst unpraktisch. War es nicht sinnvoller in einem großen Kreis im Garten zu sitzen, dort, wo man die Trankzutaten nicht in einer dunklen Kammer lagern musste, sondern sie direkt aus den Gärten und Wäldern pflücken oder sammeln konnte? Mina ärgerte sich ein wenig über ihre eigene Naivität. Die Menschen würden schon wissen, was sie dort taten. Immerhin hatte sie sich im Laufe der letzten Jahrzehnte bei ihren seltenen Ausflügen in die Welt der Menschen schon über viel gravierendere Dinge gewundert. Wie lange hatte sie gebraucht, um den Kampf der weißmagischen und schwarzmagischen Seite einigermaßen zu begreifen. Zwar gab es auch unter den Wesen des Waldes oft Streit und Unstimmigkeiten, in speziellen Revierkämpfen waren auch schon einige Wesen ums Leben gekommen, aber die Vorstellung, ihre eigenen Artgenossen zu unterwerfen oder sinnlos zu bekriegen, um eine undefinierte und in ihren Augen imaginäre Macht an sich zu reißen, erschien ihr vollkommen irrational. Eigentlich hätte sie sich auch nicht in diesen Kampf einmischen wollen, doch das letzte, schreckliche Jahr hatte ihr gezeigt, dass wirklich die gesamte magische Welt von diesem Krieg betroffen war. Schnell verbannte sie den Gedanken an die furchtbaren Ereignisse der jüngsten Vergangenheit wieder. Wenn der Schmerz wiederkam, wäre sie kaum eine Hilfe für Dumbledore und seine Anhänger.
Jetzt fiel ihr Blick wieder auf Professor Snape. Sie hatte ihn bei jeder Begegnung bisher angespannt erlebt, doch jetzt, als er mit großer Sorgfalt und etwas, dass man beinahe als Hingabe bezeichnen konnte, die Zaubertrankzutaten sortierte, über einzelne Pflanzen strich, als schätze er jede von ihnen besonders wert, wirkten seine Gesichtszüge beinahe entspannt. Sie lächelte bei diesem ungewohnten Anblick.
Der Zustand seiner Zufriedenheit schien allerdings nur von äußerst kurzer Dauer zu sein. Als er den Kopf hob, sah er sie durch schwarze, kalte Augen an.
„Miss Summer, haben Sie vor, mich den ganzen Morgen anzustarren? Dafür hätte ich Ihnen auch ein Portrait von mir aushändigen können!“, mit einer raschen Geste deutete er auf einen Stuhl, der hinter den Schülerbänken beinahe an der Wand stand. „Setzen!“, fauchte er und wand sich dann wieder von ihr ab.
Mina war so verdutzt über seine forsche Ansprache, dass sie widerstandslos gehorchte. Dieser Mensch war für sie so schwer einzuschätzen wie kaum jemand zuvor. Oft konnte sie das Verhalten der Menschen nicht sofort begreifen, aber er strahlte eine merkwürdige Faszination auf sie aus. Es würde definitiv noch spannend werden und Mina hatte sich vorgenommen, sein abweisendes Verhalten nicht als Rückschlag zu betrachten. Sie hatte Fähigkeiten um Menschen zu beeinflussen und viel zu selten hatte sie diese bisher ausprobiert. Während Snape mit seinem Zauberstab ein Trankrezept an der Tafel erscheinen ließ, fasste Mina einen Entschluss. Wenn er sie zu seinem Versuchsobjekt machen konnte und weitere Tests mit ihr plante, so konnte sie dies doch ebenso tun. Wenn Sie im Kampf gegen du weißt schon wen eine Hilfe sein wollte, konnte es sicher nicht schaden, Menschen manipulieren zu können. Und bei einem Blick auf sein finsteres und verschlossenes Gesichte dachte sie, wenn es ihr gelang, ihn zu beeinflussen, musste jeder noch so bösartige Todesser sich anschließend in Acht nehme. Zauberer und Hexen hatten den Imperiusfluch, um Menschen ihren Willen aufzuzwingen, aber sie war eine fatua nugandi, wenn sie genug übte, sollte sie theoretische in der Lage sein, beinahe ebenso viel Einfluss zu nehmen. Sie gluckste Leise bei dem Gedanken daran, dass Snape auf sie hören könnte. Gleichzeitig packte sie aber auch sofort das schlechte Gewissen. ‚Ich darf es auf keinen Fall zu weit führen…‘, dachte sie bei sich. Sie hatte eine Gabe und wie ihr Vater ihr immer gesagt hatte, war damit vor allem die unbedingte Verantwortung und Pflicht zu Integrität verbunden. Aber gegen ein bisschen Ausprobieren und vielleicht auch ein klein wenig Rache für sein bisheriges arrogantes Verhalten ihr gegenüber würde ja wohl im Rahmen liegen.
Die Doppelstunde Zaubertränke verging für Mina wie im Flug. Sie lauschte fasziniert Snapes Ausführungen über einfache Heiltränke und musste neidlos anerkennen, dass er nicht ohne Grund der „Meister“ der Zaubertränke war. Sein schier unerschöpfliches Wissen und die Leidenschaft, die sie immer wieder in kleinen Gesten und Blicken bei seien Vorträgen zu entdecken glaubte, schienen jedoch nur Mina zu begeistern. Die Schüler, Ravenclaws und Hufflepuffs, wie aus Gesprächen und diversen Punktabzügen heraushörte, saßen 1,5 Stunden wie die Kaninchen vor einer Schlange. Kaum einen Mucks gaben sie von sich. Fragen schien Snape nicht zuzulassen und nachdem er ihre Anwesenheit mit einem gefauchten „Gast“ erklärt hatte, wurde Mina für den Rest der Stunde sowohl von ihr als auch von seinen Angsterfüllten Schülern ignoriert. Snape war ganz offensichtlich ein miserabler Lehrer, wenn es um Pädagogik ging, doch sein fachliches Wissen konnte selbst den eingeschüchterten Erstklässlern nicht entgangen sein.
Nach der Stunde konnte Mina gar nicht so schnell gucken, wie alle Kinder fluchtartig das Klassenzimmer verließen. Snape hingegen entfernte mit einigen Zauberstabschwüngen die letzten Pflanzenreste von den Tischen. Erst dann schien er sie wieder zu bemerken. Mina war aufgestanden und zu ihm ans Pult getreten.
„Miss Summer“, sagte er scharf, „haben Sie mir irgendetwas zu sagen?“, seine Stimme klang wie eine bitterböse Drohung. Mina gelang es dennoch, ihm ein Lächeln zu schenken: „Nein Professor. Ich muss sagen, Sie sind wirklich ein sehr guter Lehrer… Ich bin nur nicht sicher, ob Ihr Publikum Ihre Arbeit im angemessenen Rahmen zu schätzen weiß.“
Für den Bruchteil einer Sekunde schossen seine Augenbrauen in die Höhe und sie schien ihn tatsächlich überrascht zu haben. Doch sehr schnell hatte er sich wieder gefasst und starrte sie undurchdringlich an. Nach einigen Augenblicken drehte er sich mit wehendem Umhang und fauchte im Hinausgehen: „Heute Abend, 8 Uhr in meinem Büro. Ich habe Zeit für meine Experimente an Ihnen. Seien Sie pünktlich!“
Mina nickte, doch er hatte den Raum bereits verlassen. Ich habe auch Zeit für meine Experimente, Professor Snape, verlassen Sie sich drauf, ich werde pünktlich sein… .
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