von Laurien87
Der Unfall
Die 3 Tage bis zum nächsten Donnerstag verbrachte Mina im verbotenen Wald. Wenn sie ihre Feengestalt hatte, fühlte sie sich in der Natur wesentlich wohler als in den Gebäuden der Menschen. Am Donnerstagnachmittag machte sie sich erneut auf den Weg ins Schloss. Sie hatte überhaupt keine Lust, erneut einen Abend mit dem griesgrämigen Zaubertrankprofessor zu verbringen. Aber sie hatte wohl kaum eine andere Wahl, wenn sie für sich und ihren Stamm das einzig Richtige tun wollte. Das Einzige, auf das Mina sich an diesem Nachmittag noch freute, war Albus Dumbledores Einladung zum Tee und so flog sie direkt hinauf zum Turm, in dem sein Büro lag und schlüpfte durch das Fenster, das der Schulleiter extra nur angelehnt hatte. Albus Dumbledore saß an seinem Schreibtisch, auf dem sich Mina nun niederließ, um den Zauberer zu begrüßen.
„Guten Tag, Sir!“, sagte sie und der alte Schulleiter lächelte über die Gläser seiner Halbmondbrille auf sie herab.
„Miss Summer, ich bin entzückt Sie so schnell wiederzusehen.“ Er beschwor eine große Tasse Tee herauf und etwas, dass für das menschliche Auge wie ein kleiner dampfender Fingerhut aussah.
„Setzten Sie sich doch bitte, meine Gnädigste“, er schob ihr einen kleinen Stapel Notizzettel als Bank zurecht. Mina nahm Platz und nippte an ihrer kleinen Schale Tee.
„Ich bin äußerst gespannt, wie ihr erster Termin bei Professor Snape abgelaufen ist. Ich habe gehört, sie treffen sich heute Abend wieder?“, fragte Albus Dumbledore.
„Das stimmt“, antwortete Mina, „Unser erstes Treffen verlief… nun ja, wir hatten durchaus keinen einfachen Start. Ich bin ehrlich gesagt immer noch einigermaßen empört, dass mich der Professor nicht wie ein gleichwertiges Wesen betrachtet. Aber das muss ich wohl akzeptieren. Nur eine Sache frage ich mich nach wie vor, Sir.“ Mina hielt inne und sah den alten Zauberer zweifelnd an.
„Fragen Sie, Miss“, forderte er sie lächelnd auf.
„Naja, Sie sind ein sehr mächtiger Zauberer, Sir. In der ganzen magischen Welt wird von Ihnen gesprochen und selbst die Waldbewohner sind sich einig darüber, dass sie der talentierteste und weiseste Zauberer sind, der gegen den dunklen Lord kämpft. Ich bin mir sicher, Sie könnten ebenso gut wie Professor Snape eine Lösung für mein Problem finden. Warum haben Sie diese Aufgabe an ihn abgegeben? Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich bin Ihnen sehr dankbar und weiß, dass Ihre Zeit mehr als begrenzt ist, es verwunderte mich nur.“
Albus Dumbledore wiegte langsam seinen Kopf hin und her.
„Zuerst einmal vielen Dank für die netten Komplimente. Man hört so etwas nicht alle Tage aus dem Mund einer Prinzessin. Seien Sie jedoch versichert, Miss, dass Professor Snape genau der Richtige Zauberer für ihre Schwierigkeiten ist. Ich habe mir natürlich auch meine Gedanken dazu gemacht und wenn der Hauch einer Lösung, die ich eventuell in Betracht ziehen könnte, stimmt, dann wird Professor Snape Sie in den nächsten Wochen sicherlich von Ihren Verwandlungsproblemen befreien. Da bin ich mir absolut sicher.“
Die Worte des Schulleiters stellten Mina zufrieden. Wie hatte sie nur daran zweifeln können, dass Dumbledores Wahl, Professor Snape mit dieser Aufgabe zu betrauen, nicht wohl bedacht gewesen war. Sie schwor sich, am heutigen Abend nicht auf die Beleidigungen des Tränkemeisters einzugehen. Sie hatten eine Abmachung und sie würde sich nur allzu gern für Snapes Forschungszwecke zur Verfügung stellen, wenn Albus Dumbledore Recht behielt, und Snape sie im Gegenzug heilen würde. Was mochte es nur für ein „Hauch einer Lösung“, wie Dumbledore gesagt hatte, sein, der dem alten Zauberer durch den Kopf ging?
Am Abend schwebte Mina pünktlich vor Professor Snapes Büro und klopfte an. Widererwartend öffnete er dieses Mal die Tür nicht nur sofort sondern sogar persönlich.
„Miss Summer, Sie sind pünktlich“, obwohl es lediglich eine Feststellung war, die zudem zu ihren Gunsten ausfiel, klang es aus seinem Mund wie ein Vorwurf. Doch Mina hatte beschlossen, sich an diesem Abend auf keines seiner perfiden Spielchen einzulassen.
„Guten Abend, Sir. Vielen Dank, dass Sie sich wieder Zeit für mich nehmen.“ Sie flog an ihm vorbei in sein Büro und landete auf der Sitzfläche des Stuhles, der auf der Besucherseite seines Schreibtisches stand.
„Nanu, Miss Summer, Sie sind ja heute so handzahm. Es ist nur in meinem Sinn, wenn sich meine Forschungsobjekte kooperativ zeigen“, seine Stimme hatte nichts von dem Spott verloren, der sie einige Tage zuvor bereits so wütend gemacht hatte. Sie spürte, wie sie ihre kleinen Fäuste ballte und versuchte ruhig gegen die aufkommende Wut anzuatmen.
„Was haben Sie heute mit mir vor, Sir?“
„Nun, mal sehen. Bei der letzten Sitzung habe ich mich ja zunächst auf eine mündliche Befragung konzentriert. Heute werde ich mich mit Ihren physischen Spezifika beschäftigen. Kommen Sie mit.“
Mit diesen Worten hatte der Professor sein Büro bereits verlassen und war in das angrenzende Labor verschwunden. Missmutig erhob sich Mina und flog hinter ihm her. Auf der Arbeitsfläche des Labors hatte Snape eine silbrig glänzende Folie ausgelegt, auf die er nun deutet.
„Stellen Sie sich bitte auf die Messbeschichtung, Miss Summer“, er hatte sich bereits in seine Unterlagen des letzten Treffens vertieft und Mina schwebte misstrauisch ein paar Zentimeter über dem unbekannten Material.
„Entschuldigung, Sir… Würden Sie mir sagen, wozu?“, sie sah fragend in seine Richtung. Etwas verärgert erhob Snape seinen Blick: „Miss Summer, ich bin es nicht gewohnt, dass meine Untersuchungsobjekte unnütze Fragen stellen und ich habe nicht vor, meine Zeit damit zu verschwenden, Ihnen genauere Auskunft über meine Arbeitsmethoden zu geben“, mit diesen Worten drückte er sie unsanft auf den silbrigen Belag. Mina war zu überrascht, um seiner Hand auszuweichen und war mit ihrem Hintern auf der Unterlage gelandet. Für einen Moment sprachlos, verschränkte sie Ihre Arme vor der Brust und öffnete empört den Mund.
„Eh Sie sich wieder einmal grundlos aufregen, Miss, ersparen Sie uns beiden die lästigen Auseinandersetzungen und gehorchen Sie einfach!“, und er konnte es sich nicht verkneifen „Seien Sie ein braves Tierchen“, hinzuzufügen. Mina runzelte die Stirn, erinnerte sich aber dann doch an ihren Vorsatz für den Abend und erhob sich.
Nach einem Schlenker seines Zauberstabes flog ein kleines Maßband hinüber zum Arbeitstisch und begann damit, Mina Summer gründlich zu vermessen. Zunächst hatte Mina angenommen, Snape wolle nur ihre Körpergröße und vielleicht die Länge ihrer Flügel vermessen, aber da irrte sich die Fee. Das Maßband vermaß alles: ihre Füße, Beine und Arme genauso wie die Haare, die Ohrläppchen und die Finger. Den Abstand zwischen Knie und Brust, zwischen Nase und Kinn, zwischen ihren Augen und beiden Schultern. Snape machte sich dabei stetige Notizen und Mina ging die ganze Prozedur nach einer Viertelstunde langsam aber sicher auf die Nerven.
„Professor, sind Sie ganz sicher, dass all diese Messungen Nötig sind?“, sie klang erschöpft und sah ihn flehend an.
„Aber sicher doch“, seine Stimme klang abwesend und er schaute nicht einmal von seinen Unterlagen auf. Mina stemmte die Hände in die kleinen Hüften.
„So“, sagte er nach einigen Minuten, in denen er sich weiter mit großer Akribie und gestochen scharfer Schrift Hinweise auf ein Pergament geschrieben hatte.
„Jetzt werde ich noch eine Probe entnehmen.“
„Eine WAS?“, Mina starrte ihn verständnislos an, „Entschuldigen Sie, Professor Snape, für einen Moment habe ich geglaubt, sie sagte, sie wollen bei mir eine PROBE entnehmen?“
Er hatte sein Pergament sinken lassen und schaute sie unwillig an.
„Miss Summer, ich sagte Ihnen bereits, dass ich es sehr zu schätzen weiß, wenn meine Forschungsobjekte schweigen. Dennoch werde ich sie jetzt darüber aufklären, dass es sich bei der Probe um etwas Blut handeln wird. Geben Sie mit bitte ihren Arm?“
Mina sah in bekümmert an.
„Professor, meinen Sie wirklich, dass das nötig sein wird?“
„Wenn Sie mir Ihren Arm nicht geben, könnte Ihnen die Blutabnahme unnötige Schmerzen verursachen“, während Snape das sagte. Mina fluchte noch leise etwas vor sich her, dann streckte sie jedoch bereitwillig ihren Arm aus.
„Aber nicht zu viel!“, sagte sie streng und fügte dann kleinlaut hinzu, „Ich werde mal besser die Augen schließen…“
Severus Snape hatte eine kleine Spritze heraufbeschworen mit einer besonders dünnen Nadel. Vorsichtig und mit dem scharfen Blick eines präzisen Tränkebrauers setzte er die Spitze an ihre Armbeuge. Mina hatte die Augen zusammengekniffen und den Kopf weggedreht. Snape beobachtete, wie ein dünner Strahl blassrosa Feenblut die Nadel hinauf bis in die Spritze floss. Fasziniert betrachtete er die erstaunliche Farbgebung. ‚Ich werde der erste Zauberer sein, der das Blut einer Fee untersuchen kann. Es werden sich völlig neue Erkenntnisse gewinnen lassen.‘
Während Snape noch beeindruck auf die sich immer weiter füllende Kanüle sah, bemerkte er nicht, wie Mina Summer immer blasser geworden war. Und als Snape sich gerade überlegte, wie viel Blut man einem so kleinen Geschöpf wohl ohne Folgen abzapfen konnte, begann Mina bedenklich zu schwanken. Schnell zog Snape die Nadel aus ihrem Arm und drückte ein kleines Pflaster auf den Stich, doch es war etwas zu spät. Mina verdrehte sie Augen und fiel in Ohnmacht.
„So ein Mist…“, Snape verzog das Gesicht. Das hatte ihm grade noch gefehlt. Eine ohnmächtige kleine Fee auf seinem Labortisch. Er drehte sich um zu seinem Vorratsregal und suchte schnell einen geeigneten Trank. Als er etwas Plasmaanregendes gefunden hatte, griff er nach einer Pipette und zog einige Tropfen der Flüssigkeit auf. Vorsichtig nahm er Mina auf seine Hand und schob ihr das Ende der Pipette in den Mund. Leicht drückte er einen Tropfen nach dem anderen heraus und strich mit einem Finger dabei über ihren zarten Hals, damit sie die Flüssigkeit auch zu sich nahm. Während er wartete, ob sie sich wieder ein bisschen erholte, spürte er ihren warmen weichen Körper in seiner Hand und zu der ohnehin untypischen Sorge, die ihn auf einmal befallen hatte, kam noch ein anderes Gefühl hinzu. Ihr pochendes Herz und ihre Wärme machten es ihm plötzlich doch schwer, sie lediglich als Forschungsobjekt zu sehen. Sollte sie nach diesem Ohnmachtsanfall irgendwelche Folgen zurückbehalten… er durfte nicht daran denken.
‚Verdammt, Mädchen, wach auf!‘, dachte er und die Falte zwischen seinen Augenbrauen wurde tiefer als sonst. Gleichzeitig wunderte er sich über seine eigenen Gedanken. ‚Mädchen‘, er sah sie also doch als ein menschenähnliches Wesen an. Das würde er jedoch selbstverständlich weiterhin bestreiten. Mit seinem Zeigefinger klopfte er leicht gegen Minas Wangen.
„Miss Summer, wachen Sie auf“, Snapes Stimme klang nicht gerade freundlich, hatte jedoch auch nichts von dem üblichen Spott in sich. Konzentriert starrte er weiter die kleine Gestalt in seiner Hand an. Plötzlich sah er, wie sich Minas Arm langsam bewegte. Dann hörte Snape sie leise husten, bevor sie die Augen aufschlug.
„Professor?“, fragte sie benommen, „Können wir für heute vielleicht Schluss machen?“
Dann schloss sie die Augen erneut.
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